Impuls zum Sonntag Invokavit von Matthias Wittkämper

Fri, 19 Feb 2021 23:00:00 +0000 von Helwig Behrends

1. Sonntag in der Passionszeit – Invokavit - am 21.02.2021 (Joh 13, 21-30) 

„Kiss & Go !“

Um aktuell das Infektionsgeschehen an geöffneten Grundschulen einzudämmen, hängt jetzt am Eingangstor eines Berliner Schulhofes ein Schild. „Küssen und gehen!“ Nach einem herzlichen Bussi der Mamas geht`s dann für die ABC-Schüler in`s Gebäude. Ich finde: Das ist ein schöner Start in den Tag – für beide. 

Geküsst wird auch in Katalonien. Der spanische Architekt, Antoni Gaudi, baute bis zu seinem Tod im Jahr 1926 in seiner Heimatstadt Barcelona die weltberühmte Kirche ´La Sagrada Familia´. An ihrer Rückseite zeigt sie von außen in Stein gehauen, wie sich zwei Männer küssen. Judas küsst Jesus. Darunter steht als biblisches Zitat Jesu: „Was du tust, das tue bald“! (Joh 13, 27b) Man weiß, wie die Geschichte endete. 
Jesus wurde wenige Stunden später im Garten Gethsemane von Judas verraten und so den Pharisäern und Schriftgelehrten ausliefert – durch einen Kuss. Der römische Prokurator Pontius Pilatus machte ihm den Prozess, der mit der Kreuzigung endete. Der Tod Jesu war für die Jünger eine Katastrophe. Alles, was er gesagt und getan hatte, löste sich in einem Moment in Luft auf. Er war auf blamable Weise vor aller Augen gestorben. Und einer aus ihren eigenen Reihen hatte ihn ans Messer geliefert. 

Doch nach drei Tagen begegnete ihnen Jesus als der Auferstandene. Die Geschichte Jesu ging weiter. Er hatte den Tod besiegt. Jetzt setzte bei den Jüngern ein neues Nachdenken ein. Die Sache Jesu war also gar nicht gescheitert, sondern Gott selbst hatte den Kreuzigungstod Jesu gewollt und vorherbestimmt. Diese Interpretation hat sich im Christentum bis heute durchgesetzt. Jesus starb für unsere Sünden. Doch für die Jünger damals war das längst nicht so klar und eindeutig. Und bei genauerem Hinsehen ist es das auch heute nicht. 

Einen entscheidenden Einfluss auf die „Sühne-Tod“-Interpretation hatte ein junger Mann aus Italien. Er wurde 1033 in Aosta geboren. Das liegt östlich von Mailand. Er hieß Anselm. Als er zwanzig war, verließ er sein Elternhaus und wurde in Frankreich Mönch. Und weil er ein kluges Köpfchen war, wurde er dort in der Normandie schnell zum Prior und später sogar zum Abt des Klosters  Bec gewählt.

Später zog es ihn im Jahr 1093 nach England, wo er begeistert empfangen und zum Erzbischof von Canterbury geweiht wurde. Hier in seiner neuen Heimat verfasste er eine über Generationen hinweg prägende Denkschrift, die den tieferen Sinn der Kreuzigung Jesu beschrieb. 

Der Inhalt lautet, zusammengefasst: Die Sünde, die in der Welt ist, stellt eine Art Verletzung der Ehre Gottes und seiner Ordnung dar. Die erforderliche Wiederherstellung wäre nur durch eine Genugtuung zu erbringen von jemandem, der selbst ein sündloses Wesen hat. Das aber könne nur Gott selber sein. Darum wurde Gott Mensch und kam in Jesus selbst auf die Erde. Ganz freiwillig leistet er darum Gehorsam bis in den Tod.

Der Evangelist Johannes schreibt, dass Jesus durch einen Kuss des Judas damals  verraten wurde und in der Folge sterben musste. Kritiker fragen heute, ob Jesus Judas davon nicht hätte abhalten können? Die Reaktion des Anselm von Canterbury wäre klar gewesen. Ja, hätte er gekonnt – wollte er aber nicht. Denn die sogenannte ´Satifikationslehre´ Anselms folgt der Logik, dass nur Jesus diese Sühneleistung erbringen konnte und er deshalb den Kuss des Judas bewusst zuließ.  

Der Kontext der Evangeliumsgeschichte erzählt noch von einem anderen Aspekt. Kurz vor seiner Festnahme hatte Jesus damals noch allen seinen zwölf Jüngern die Füße gewaschen. Eine beeindruckende Geste seiner Liebe mit der er sagte, dass Gottes Reich ein Reich der Liebe sei, die einem wie ein Geschenk in den Schoß falle. Man müsse es allerdings bewusst zulassen, um an ihr Teil zu haben. Hier wird gesagt, dass Jesus mit Judas zu diesem Zeitpunkt nicht ein für alle Mal gebrochen hatte. Im Gegenteil. Beim letzten Abendmahl teilte er mit ihm jedenfalls noch das Brot als er sagte: „Nehmet, esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“. 

Auf dem Höhepunkt des Werbens Jesu entscheidet sich Judas aber dagegen, sagt innerlich - nein. Ich glaube, dass es solch ähnliche Entscheidungssituationen bis heute gibt. Nämlich: Gehe ich ins Licht oder bleibe ich im Dunkeln? Vertraue ich der Liebe Jesu oder verschließe ich mein Herz vor ihr? Die Geschichte um den Verrat des Judas bleibt für mich spannend. Sie birgt Helles und Dunkles, Sichtbares und Unheimliches. Beides.

Aber eines gilt immer: wenn uns aufrichtige Liebe innerlich zu einem Menschen zieht – ist dafür ein Kuss bis heute immer noch das schönste Zeichen der Welt! 

Bleiben Sie behütet! 
Ihr Pastor Matthias Wittkämper

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